Die Wahlen in Hamburg und Teheran – Ein unlogischer Vergleich
19. Februar 2020

Die Wahlen in Hamburg und Teheran – Ein unlogischer Vergleich

Am 23. Februar wählen Hamburger und Hamburgerinnen eine neue Bürgerschaft. und fast zeitgleich, am Freitag nämlich, wird im Iran ein neues Parlament gewählt. (Nehmen wir einmal an, man möchte in diesem Zusammenhang von Parlament und Wahlen sprechen).

Egal, wie sehr ich mich bemühe, dem Vergleich zwischen den Wahlen in Hamburg und im Iran auszuweichen, das Gehirn der Menschen tendiert zu vergleichen. Es funktioniert sogar nur so, meinen einige.

Der Vergleich hinkt, und zwar gewaltig

Es ist nicht logisch, einen politischen Vorfall in einem hochentwickelten demokratischen Land in Westeuropa mit einem Ereignis in einem theokratisch regierten Entwicklungsland zu vergleichen, das auch noch im Nahen Osten liegt. So ein Vergleich ist nicht legitim, ist nicht kontextbezogen und ist politisch falsch.

Ich bin zudem der Überzeugung, dass ein Südländer sein eigenes Land nicht mit einem  fortgeschrittenen Staat vergleichen soll. Das führt nur dazu, dass er sein eigenes Volk verachtet, ohne jede positive Folge.

In der Tat vergleiche ich aber kontinuierlich die Wahlen in diesen zwei Ländern

Ob es Ähnlichkeiten gibt, frage ich mich jeden Tag. Und die Antwort überrascht mich immer wieder: In beiden Ländern versucht die Elite, das Volk zu motivieren, wählen zu gehen. In Hamburg springen die Slogans ins Auge: „Du wählst jeden Tag“ so der Slogan in Hamburg; zwischen Wein und Bier, zwischen Sneaks und Heels, zwischen Worten und Taten.

Im Iran vergessen die Islamisten in den Wochen vor der Wahl, dass sie Islamisten sind und appellieren auch an die Unzufriedenen, die vielleicht die Islamische Republik nicht mögen, wählen zu gehen: Dem Iran zuliebe! Über Nacht werden Islamisten zu Nationalisten. Am Tag nach den Wahlen werden ihre Werkseinstellungen automatisch wiederhergestellt.

Hätte das Hamburger Motto „Du wählst jeden Tag“ auch im Iran funktioniert, frage ich mich.

Das Bier ist verboten, sowie der Wein. Es gibt auch große Einschränkungen, welche Schuhen man sich anziehen darf, besonders für Frauen. Worte sind in vielen Fällen gefährlich und Taten sowieso.

Dass man im Iran nicht jeden Tag wählt, ist genauso übertragbar auf die Wahlen: Der sogenannte Wächterrat der Islamischen Republik trifft eine Vorauswahl und bestimmt, wer kandidieren darf. Abgesehen von vielen Parteien und Politiker_innen, die seit 40 Jahren durch Gewalt von der politischen Szene -oder überhaupt – eliminiert worden sind, hat der Wächterrat dieses Mal neunzig Abgeordneten des derzeitigen Parlaments disqualifiziert. Das entspricht einem Drittel des Parlaments. Die Botschaft ist klar und deutlich: Du wählst nicht jeden Tag und auch am Wahltag hast du keine große Auswahl.

Dennoch ist im Iran die Wahlbeteiligung höher als in Hamburg. 2016 gingen circa 62 Prozent der iranischen Wahlberechtigten wählen, 2015 lag die Wahlbeteiligung in Hamburg bei 56,5 Prozent.

Erstaunlich, oder? Kann man also sagen, dass Menschen, die nur einen sehr kleinen Spielraum haben, diesen eher nutzen als jene, die frei wählen können?

Vielleicht liegt es an den Hoffnungen, die Menschen mit den Wahlen verbinden?

Ich bin im Iran mehrmals wählen gegangen, obwohl es nie Kandidaten gab, von denen ich mich vertreten gefühlt hätte. Zudem habe ich es als beleidigend empfunden, dass ich nur die wählen durfte, die von einem durch nichts legitimierten Rat vorausgewählt wurden. Ich bin trotzdem gegangen, weil ich davon ausging, dass sich vielleicht doch etwas ändern könnte. Ich gebe zu: Es war eine Fehleinschätzung.

Bleiben wir aber einmal bei diesem Gefühl. Sei es nun eine Illusion oder nicht. Das Gefühl, dass man etwas mitgestalten kann, dass die eigene Stimme zählt. Dies ist die Essenz der Zugehörigkeit. Man gehört dazu, wenn man mitgestalten kann oder zumindest die Hoffnung hegt, etwas verändern zu können.

So hat mein störrisches Gehirn, das nicht anders kann als wieder jeder Vernunft, die Wahlen hier und dort zu vergleichen, am Ende doch eine Erkenntnis gebracht. Nun weiß ich endlich, was ich auf die immer wiederkehrende Frage antworte, ob und wann ich mich in Hamburg zu Hause fühlen werde.  Wohl erst, wenn ich auch einen roten und einen gelben Stimmzettel ausfüllen darf und dabei dann noch das Gefühl habe, dass ich damit etwas verändern kann.