In Afghanistan spitzt sich die Situation von Ärzten, die in den vergangenen Jahren von deutschen Organisationen und Fachleuten geschult worden sind, immer mehr zu. „Ihr Leben ist in Gefahr“, sagt der Freiburger Mediziner Professor Kurt Wilhelm Stahl, der sich seit 2002 für die Fortbildung von Ärzten in Afghanistan engagiert und ein profunder der Kenner der Situation im Land ist. Er fordert die Bundesregierung auf, die gefährdeten Ärzte nach Deutschland zu holen und hier weiter auszubilden, damit sie nach Ende der Taliban-Herrschaft in ihrem Land arbeiten können.
Professor Stahl, promovierter Medizin- und Biochemie-Professor aus Deutschland, kam 2002 für das Projekt „Wound Healing in a Wounded Country“ nach Kabul. Das war ein Jahr nach dem Sturz des Taliban-Regimes. Damals waren die Krankenhäuser voll mit Kriegsversehrten, deren Wunden sich auf Grund der schlechten medizinischen Versorgung tief infiziert hatten und die um ihr Überleben kämpften. Professor Stahl und seine Kollegen führten dort eine einfache und kostengünstige Methode ein, um die Wunden zu behandeln. Später dehnte er die Mission auch auf Nord- und Ostafghanistan aus und führte Dutzende afghanischer Ärzte in die neue Methode ein. Bis 2014 reiste er immer wieder nach Afghanistan.
Heute lebt Professor Stahl in Freiburg im Ruhestand. Von dort aus beobachtet er die Lage in Afghanistan. Besondere Sorge bereitet ihm, dass viele der Ärzte, die er durch sein Projekt kennengelernt und weitergebildet hat, akut bedroht sind. Zwar hat die Arbeit von Professor Stahl nichts mit deutschen Militäreinsätzen in Afghanistan zu tun. Aber etliche der afghanischen Ärzte kamen im Rahmen seines Ausbildungsprojekts nach Deutschland und haben danach zeitweise in deutschen Lazaretts, insbesondere in Masar-e-Sharif, gearbeitet.
„Eine große Zahl afghanischer Ärzte hat mit dem deutschen Militär zusammengearbeitet und in deutschen Militärkrankenhäusern ausgebildet, andere wurden im Land oder auch in kurzen Aufenthalten in Deutschland geschult“, sagte Professor Stahl. „Dieser Ausbildungsprozess ist noch nicht abgeschlossen und wir haben unser Ziel, das Gesundheitssystem in Afghanistan zu verändern, noch nicht erreicht.“ Afghanistan brauche weiterhin Unterstützung bei der Schulung der Ärzte, damit diese kostengünstig und ohne teure Geräte arbeiten können.“
Unvollendete Mission
Die Bedrohung ist sehr konkret, sagt Professor Stahl. Es gibt Berichte, dass afghanische Ärzte in den vergangenen Wochen entführt und ermordet worden sind. Er nennt das Beispiel von Dr. Mohammad Nader Alemi, einem prominenten afghanischen Arzt, am 19. November in Masar-e-Sharif ermordet wurde. Bedroht sind auch Ärzte, die in Deutschland ausgebildet worden waren oder seit 2004 bei der Bundeswehr tätig waren. Stahl bezeichnet deren aktuelle Lage als besorgniserregend. „Mit dem Aufstieg der Taliban ist der Spielraum für afghanische Ärzte kleiner geworden. Sie werden entführt und ermordet, weil sie reich sind und in einem armen Land wie Afghanistan im Verdacht stehen, mit Ungläubigen verbündet zu sein“, fügte er hinzu. Inzwischen seien viele afghanische Ärzte, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, aus Angst vor den Taliban außer Landes gegangen, so Stahl. Sie befinden sich jetzt in Usbekistan, Tadschikistan und der Türkei in einer prekären Lage.
Professor Stahl hat in den letzten 12 Jahren in Afghanistan bittersüße Erfahrungen gemacht. Ihn fasziniert die Freundlichkeit und Großzügigkeit der Afghanen, ihn berühren die Wunden des Krieges am Leib Afghanistans, die das Schicksal jedes einzelnen Menschen in diesem Land unmittelbar beeinflussen.
Professor Stahl wirft der Bundesregierung vor, Afghanen zu vergessen, die an diesem kritischen Punkt der Geschichte mit den Deutschen zusammengearbeitet oder in deutschen Regierungsprojekten ausgebildet wurden. „Das von Deutschland finanzierte Projekt zur Ausbildung afghanischer Ärzte und zur Unterstützung des afghanischen Gesundheitssystems darf nicht dem Zufall überlassen werden“, sagt Professor Stahl.
Professor Stahl schlägt vor, die bedrohten Ärzte nach Europa zu holen und hier umfassend weiterzubilden. „Sobald die Lage in Afghanistan stabil ist, können sie dann als Fachkräfte zurückkehren“, sagte Professor Stahl. Professor Stahl fordert die Bundesregierung auf, Visaanträge afghanischer Ärzte, die zuvor in deutschen Projekten mitgewirkt haben, schnellstmöglich zu bearbeiten und diese zur Weiterbildung nach Deutschland zu entsenden.
Von Nilofar Langar/ Independent Persian