Foto: Rosa Sabetnia

Wieviel zählt das Leben eines Flüchtlings im Herzen von Europa?

Beitrag von Nilab Langar

 

Hadi Younesi ist Journalist und gehört zur arabischen Minderheit im Iran. Er lebt seit anderthalb Jahren in der Flüchtlingsunterkunft am Albert-Einstein-Ring in Hamburg. Seit der Corona-Krise erlebt er die Umstände dort als gefährlich und hat das Gefühl, dass die Geflüchteten dort wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die für die Gesundheit verantwortlichen Menschen schenkten der Situation der Geflüchteten, die dort in großen Gruppen zusammenleben, wenig Aufmerksamkeit, so Hadi Younesi.

Nachdem Corona nach Deutschland kam, hat Hadi Younesi als Journalist die Nachrichten intensiv verfolgt. „Ich habe die Mitarbeiter in der Unterkunft gebeten, die Hygiene-Maßnahmen zu intensivieren und die Bereiche wie Küche und Bad, die gemeinschaftlich genutzt wurden, häufiger zu desinfizieren“, erzählt er. „Aber ich bekam nur negative Antworten.“

Betreiber der Unterkunft ist Fördern und Wohnen, ein Tochterunternehmen der Stadt Hamburg. Als wir sie um eine Stellungnahme zu den Beobachtungen von Hadi Younesi fragten, antworteten sie, es sei desinfiziert worden, allerdings erst nachdem in der Unterkunft eine Person positiv auf Covid-19 getestet wurde.

Hadi Younesi erzählt, dass dann die Betreiber kurzfristig beschlossen, eine Etage in der Unterkunft frei zu ziehen und zu einer Corona-Station zu machen. „Ich hatte Sorge, dass sich dadurch mehr Menschen im Haus infizieren“, sagt er. „Ich finde eine solche Aktion unmenschlich. Nachdem die Geflüchteten dagegen protestiert hatten und die Polizei eine 24 Stunden Frist setzte, wurden die Patienten woanders untergebracht.“ Hadi Younesi glaubt, dass die Probleme dadurch nur verschoben, aber nicht gelöst wurden. „Ich denke, dass man die Infizierten aus den Heimen und Wohngruppen herausholen und ihnen eine besondere Pflege zukommen lassen muss“, sagt er.

Fördern und Wohnen sagt: „Wenn Menschen positiv auf Covid-19  getestet sind, ordnen die  Gesundheitsämter eine häusliche Quarantäne an. Dies tun sie auch im Fall unserer Bewohnerinnen und Bewohner. Insofern kann ein Teil einer Unterkunft immer auch der Unterbringung infizierter Personen dienen.“

Diskriminierung und Abwertung von Geflüchteten ist ein anderes Thema, das Hadi Younesi gegenwärtig beschäftigt. Er berichtet, dass die Mitarbeiter mit einem Tisch und mit durchsichtiger Plastikfolie abgeriegelt haben und nur zu besonders wichtigen Anlässen öffnen. Wenn die Bewohner etwas zu sagen haben, dann müssen sie über diese Hindernisse hinweg sprechen. Dadurch entstehe Distanz.

Fördern und Wohnen sagt: „Selbstverständlich gilt auch bei uns, dass zwecks Infektionsschutzes  1,50 Meter Abstand zwischen zwei Personen einzuhalten sind. Wo dies baulich schwierig ist, werden Plexiglaswände oder Ähnliches aufgestellt. Wo der Aufbau von Plexiglaswänden nicht möglich ist, gilt Mund-Nasen-Schutz-Pflicht. Im Übrigen setzen wir selbstverständlich die Arbeitsschutz-Vorgaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales um.“

Hadi Younesi hatte das Gefühl, dass diese Maßnahmen nur zum Schutze der Verwaltung getroffen wurden – dort, wo die Geflüchteten wohnen, sei nichts verändert worden. „Die Mitarbeiter haben alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um ihre eigene Gesundheit zu schützen“, sagt er. Die Geflüchteten wohnten indes weiter in großen Gruppen, wo es schwer fällt Abstand zu wahren.

Fördern und Wohnen bestätigt dies: „Die Unterbringungsbedingungen an unseren Standorten blieben unverändert.“

Fördern und Wohnen gibt an, dass das Unternehmen sich bei allen Maßnahmen an dem  Pandemieplan der WHO, den Empfehlungen des RKI sowie den Allgemeinverfügungen und Verordnungen des Senats orientiert habe und diese mit dem Institut für Hygiene und Umwelt abgestimmt worden seien.

Der Journalist aus dem Iran kritisiert, dass seine Nachbarn und er vor Ort nicht ausreichend informiert worden seien. Es habe ein paar Info-Poster an den Wänden gegeben. „Aber damit werden längst nicht alle erreicht“, sagt Younesi. Die meisten Poster seien auf Deutsch gewesen. Viele Geflüchtete sprechen die Sprache noch nicht, etliche sind auch Analphabeten.

„Manchmal hat die fehlende Kooperation der zuständigen Einrichtung die Probleme dann noch verstärkt“, so Younesi. So wurden die Geflüchteten aufgefordert, ihre Fragen und Bedarfe schriftlich an die Mitarbeiter und die Behörden zu richten. Fördern und Wohnen räumt ein, dass die üblichen Sprechstunden der Teams in den Unterkünften zu Beginn der Pandemie aufgrund des Kontaktverbotes zeitweise ausgesetzt worden seien und die Mitarbeiter nur per Telefon oder schriftlich erreichbar gewesen. Hadi Younesi erzählt von Migranten, die schon 16 Jahre in Deutschland leben, aber sich mit dem Schreiben eines Behördenbriefs noch immer überfordert fühlen. „Wie kann es dann sein, dass die zuständigen Stellen so etwas von Asylbewerbern verlangen? Ich finde das diskriminierend.“

Hadi Younesi hat 20 Jahre in der Provinz Khuzestan im Iran als Journalist gearbeitet. „Als Journalist habe ich versucht, die Stimme meines Volkes zu sein und für die unterdrückte Minderheit zu sprechen, zu der ich gehöre.“ Nach einem Interview für die BBC sei er gezwungen gewesen, mit seiner Familie das Land zu verlassen und sich auf die Suche nach einem besseren und sicheren Leben zu machen. Im Iran hat Younesi im Laufe seines Leben häufig Diskriminierung erlebt. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass auch im zivilisierten Europa mein Überleben und das von anderen Geflüchteten weniger zählt als das Leben von anderen Menschen.“ Genau das Gefühl aber habe er seit der Corona-Krise.