Als wir in Deutschland ankamen, druckte die Bundesregierung das Grundgesetz auf Arabisch und in den anderen Muttersprachen der Ankommenden. Sie wollte allen klar machen, dass dieses Land der Verfassung unterliegt, man diese nicht brechen darf und dass die Befolgung der Verfassung der erste Schritt in Richtung erfolgreiche Integration ist – was die Gastgebergemeinschaft von den Neuankömmlingen ohnehin erwartete. Die deutsche Verfassung, die am 23. Mai vor 70. Jahren in Kraft trat, wird von dem amerikanischen Rechtsprofessor Peter E. Quint als „eine der erfolgreichsten Geschichten der Demokratie in der Nachkriegszeit“ beschrieben. Zudem war das deutsche Grundgesetz ein Vorbild für viele andere Verfassungen, wie die in Portugal, Spanien, Estland, Asien und Südamerika.
Warum heißt es Grundgesetz und nicht Verfassung?
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gaben die westlichen Alliierten den Verwaltern der westdeutschen Regionen Befugnisse, die bestimmte Aufgaben beinhalteten. Diese wurden später unter dem Namen ‘Frankfurter Dokumente’ bekannt. In dem ersten und auch wichtigsten Dokument steht, dass eine Sitzung abgehalten werden sollte, um eine föderale und demokratische Verfassung zu verfassen. Doch die Verfassungsgeber befürchteten, dass diese Verfassung zur Festigung der Teilung Deutschlands in Osten und Westen beitragen würde. Daher wurde diese dann nicht Verfassung, sondern Grundgesetz genannt. Mehrere historische Quellen weisen darauf hin, dass diese Maßnahme nur vorübergehend sein sollte und zwar nur so lange, bis das Land vereint und die Teilung aufgehoben war. Der Wortlaut des Grundgesetzes wurde vom parlamentarischen Rat verabschiedet und am 23. Mai 1949 in Bonn, West-Deutschlands damaliger Hauptstadt, unterzeichnet. Das deutsche Grundgesetz wurde 62 Mal geändert. Diese Änderungen beinhalten auch die deutsche Wiedervereinigung, die europäische Integration und die Artikel zum Asylrecht. Außerdem wird bestimmt, dass die Änderungsanträge erst von der Mehrheit des Bundestags und dann von der Mehrheit des Bundesrats angenommen werden müssen. Dabei muss die Mehrheit immer aus zwei Drittel bestehen.
Die Würde des Menschen und das Prestige des Staates
Am meisten interessieren mich im deutschen Grundgesetz die ersten 19 Artikel, die sich mit persönlichen Freiheiten, mit Meinungs- und Ausdrucksfreiheit, mit Glaubensfreiheit und der Freiheit der Ausübung religiöser Riten befassen. Oft hielt ich an Stellen inne in denen steht, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien oder allgemein bei dem Wort Mensch, dessen Staatsangehörigkeit vom deutschen Gesetz nicht definiert wird, sondern sich auf alle Menschen, die sich auf deutschem Boden befinden, bezieht – unabhängig von ihrem Hintergrund, ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Geschlecht.
Ein fehlgeschlagener Vergleich
Eigentlich wollte ich hier den Versuch unternehmen, das deutsche Grundgesetz mit der syrischen Verfassung zu vergleichen. Genauer gesagt: Ich möchte die syrische Verfassung genauer anschauen, so wie sie seit den Änderungen im sogenannten arabischen Frühling 2011 gilt. Schon vorher wurde die Verfassung oft umgeändert, schließlich werden Verfassungen in Ländern mit Diktaturen meist auf den gerade amtierenden Diktator und seine Regierungspartei maßgeschneidert. Natürlich hinkt der Vergleich dieser beiden Verfassungen und er birgt auch in den Details eine Menge Ungerechtigkeiten gegenüber dem deutschen Grundgesetz. So beginnen die Artikel des Grundgesetzes mit: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Die syrische Verfassung hingegen wie folgt: „Die Arabische Republik Syrien ist ein demokratischer und vollständig souveräner Staat und unteilbar. Kein Teil seines Territoriums darf aufgegeben werden. Syrien ist Teil der Arabischen Welt und das syrische Volk ist Teil der Arabischen Nation”. Somit sehen wir, dass all die Verbrechen, die in den vergangenen acht Jahren an der syrischen Bevölkerung begangen wurden, Verbrechen wie Vertreibung, Mord, Anschläge und die Zerstörung der Infrastruktur, im Einklang mit der syrischen Verfassung stehen. Denn in den ersten Artikeln der syrischen Verfassung steht nichts über Menschenwürde, persönliche Freiheiten, Meinungsfreiheit oder, dass alle vor dem Gesetz gleich seien. Im Gegenteil, es geht um die Flagge des Staates, die Religion des Präsidenten und dem Regierungssystem.
Auch in der syrischen Verfassung gibt es Artikel, in denen es um die Menschenwürde und die Rechte der Menschen geht, sie stehen weiter hinten. Vor allem aber, gelten sie nichts. Sie sind nur Tinte auf Papier.
Dieser Artikel ist auf Arabisch bei Amal, Berlin! erschienen und dann in deutscher Übersetzung auf der Webseite der Körber-Stiftung. Übersetzung: Karin El Minawi