12. Mai 2023

Landleben Pro und Contra

In Berlin sitzen in diesen Stunden die Vertreter:innen von Bund und Ländern zusammen. Es wird hart diskutiert, wahrscheinlich sogar gestritten. Es geht um die Verteilung und Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland und vor allem geht es darum: Wer dies bezahlt. Die Bundesländer fordern mehr Unterstützung vom Bund. Die Bundesregierung mauert. Die Hauptstadtjournalist:innen gehen von einem langen Abend aus.

Amal beschäftigt sich auch mit dem Thema; schließlich ist unsere Leserschaft betroffen. In den vergangenen Wochen waren wir ja in Niedersachsen unterwegs (Hier geht es zum ersten und hier zum zweiten Bericht über die Tour) und haben uns dort angeschaut, wie Geflüchtete im ländlichen Raum leben. Wie sind die untergebracht? Was machen sie? Wie fühlen sie sich?

Amal-Redakteure Khalid Al Aboud und Aboud Omaren mit Interviewpartner. Niedersachsen ist ziemlich schön!

Viele, die aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine nach Deutschland kommen, wollen nach Berlin; Zur Not wäre auch Frankfurt, Hamburg oder München okay. Ein Leben auf einem deutschen Dorf können sich die Wenigsten vorstellen. Zugleich ist klar: Alle können unmöglich in den Metropolen unterkommen. Schon jetzt ist es unglaublich schwer bis unmöglich, in Berlin eine bezahlbare Wohnung zu finden und auch die Unterkünfte zur Unterbringung von Geflüchteten platzen aus allen Nähten. Umso drängender also die Frage: Wie lebt es sich als Geflüchteter in einer kleinere Stadt und wie ist der Alltag auf dem Land? Was muss geschehen, um diese Option attraktiver zu gestalten und das Potenzial des Landlebens für die Integration besser zur Geltung zu bringen?

Unsere Recherche der vergangenen Wochen hat zu diesem Fazit geführt:

Positive Aspekte des Lebens im ländlichen Raum

  • Wir haben viele Geflüchtete getroffen, die sehr zufrieden sind und gerne in kleineren Gemeinden leben. Es ist leichter, mit der Gesellschaft in Kontakt zu kommen. Da es zumeist nicht so große Communities von Geflüchteten gibt, bleibt den Neuankommenden nichts anders übrig, als zu interagieren. Initiativen und Vereine sind oft gemischter und es gibt mehr Austausch mit Deutschen und Menschen unterschiedlicher Herkunft.
  • Wenn engagierte Menschen in kleineren Orten etwas auf die Beine stellen, können sie viel erreichen und einen großen Unterschied machen. Das ist sehr motivierend – sowohl für Alteingesessene als auch für Neuangekommene.
  • In vielen Fällen ist es einfacher, mit der deutschen Bürokratie zurecht zu kommen. Oft bekommt man schneller Termine bei Ämtern.
  • Es ist deutlich leichter, eigene Wohnungen und Jobs zu finden.
  • In vielen Orten sind die Folgen des demographischen Wandels deutlich zu spüren. Anders gesagt: Es werden dringend jüngere Menschen gesucht, um die Ortschaften zu beleben. Das ist eine gute Chance für Neuankommende. Anders als in den großen Städten sind sie nicht zusätzliche Belastung für die Kommunen, sondern eine Bereicherung und Überlebenschance gerade für kleinere Gemeinden. In manchen Fällen werden sie entsprechend willkommen geheißen, in anderen Fällen ist hier noch Luft nach oben.
Die Folgen des demographischen Wandels sind nicht zu übersehen.

Negative Aspekte des Alltags für Geflüchtete auf dem Land

  • Die Versorgung mit Sprachkursen, psychologischer Betreuung und Integrationskursen ist deutlich schlechter.
  • Viele Neuankommende sind in ihrem Bewegungsradius stark eingeschränkt, weil sie auf den teilweise extrem schwachen ÖPNV angewiesen sind.
  • Es ist schwierig, am kulturellen Leben in der eigenen Kultur teilzunehmen. Es ist schwierig, Bücher und Veranstaltungen in der eigenen Sprache zu finden.
  • Manche der Interviewten klagten über Einsamkeit. Es sei zwar schön, sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, aber Landwirt:innen in Niedersachsen seien auch nicht immer leicht zu verstehen und sie würde es vermissen, sich mit Menschen in ihrer Heimatsprache zu unterhalten.

Zu manchen unserer Fragen, konnten wir keine eindeutige Antwort finden. So gehen die Meinungen stark auseinander, ob die Unterbringung in Unterkünften im ländlichen Raum besser oder schlechter organisiert ist. Auch berichteten einige unserer Gesprächspartner, dass ihnen das Thema Rassismus stark zu schaffen machte und andere erstaunten uns mit sehr positiven Berichten: Sie hätten bislang keine rassistische Erfahrung gemacht.

Unser Fazit und unsere Empfehlung lautet also:

Es kommt also darauf an!

Es kommt sehr stark darauf an, wie das Zusammenleben im ländlichen Raum gestaltet ist. Gelingt es, den Neuankommenden das Gefühl zu geben, dass sie in dieser neuen Heimat willkommen sind und mit ihren Bedürfnissen, Fragen und Traumata gut versorgt werden. Dann stehen die Chance gut, dass auch die Alteingesessenen die Vorteile sehen, die Migration für sie bedeuten kann: Dorfgemeinschaften werden wiederbelebt, Schulen, Vereine und Infrastruktur bleiben erhalten und es gibt für Aktive ein Potenzial, mit ihrem Engagement etwas zu bewegen.

Das alles lässt sich nicht in Zahlen und Kosten ausdrücken. Unsere Beobachtungen und unsere Empfehlungen werden die Politiker:innen aus Bund und Ländern, die heute in Berlin zusammenkommen daher nur mäßig beeindrucken. Wir bewegen uns auf einer ganz anderen Ebene als sie.

Es ist allerdings klar, dass es beim Es kommt darauf an auch um Geld geht: Unterbringung und Integration ist muss gut gestaltet werden. Denn: Es kommt jetzt wirklich darauf an! – Für die Neuankommenden und für die Alteingesessenen. 

Bilder: Amal

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